Zwei Hirten. Zwei Kulturrevolutionen?
Chinas KP unter Xi Jinping und der Vatikan unter Franziskus stehen vor weitgehend gleichen Governance-Problemen — von Finanz- und Sexskandalen bis hin zum sinkender Gefolgsbereitschaft.
March 27, 2014
Zugegeben, Wladimir Putin und Barack Obama dominieren derzeit die globale Agenda. Doch sind es zwei andere Männer, die über viel größere Reiche herrschen. Bei dem einen handelt es sich um Chinas neuen Staatspräsidenten Xi Jinping. Der andere ist Jorge Mario Bergoglio, ein argentinischer Jesuit, besser bekannt als Papst Franziskus.
Wie das Rad der Geschichte es wollte, übernahmen beide gleichzeitig im März 2013 ihr Spitzenamt. Beide Männer wurden damals als Oberhirten riesiger Herden von Menschen berufen, die jeweils deutlich mehr als eine Milliarde zählen.
Doch damit der Parallelen nicht genug: Chinas Kommunistische Partei (KP) wie auch die katholische Kirche basieren auf einer männlich dominierten Machtstruktur. Und sie ruhen auf Ideologien, die mit einem Absolutheitsanspruch ausgestattet sind, was in der heutigen Zeit immer schwieriger ist.
Die neuen Führer Chinas und des Vatikans haben sich beide vorgenommen, endlich mit der Verschwendungssucht und den ethisch sowie strafrechtlich bedenklichen Machenschaften ihrer jeweiligen Hierarchien aufzuräumen. Außerdem wollen sie die Armut in der breiten Bevölkerung bekämpfen.
Nach zwölf Monaten im Amt zeigt sich, dass Papst Franziskus einen effektiven Start gehabt hat. Er ist auf gutem Weg, mit den althergebrachten Praktiken im Vatikan zu brechen. In seinen öffentlichen Auftritten unterstreicht er stets seine Absicht, der Selbstzentriertheit des hohen Klerus und seiner Entfremdung von den Gläubigen entgegenzuwirken. Auch die diversen Skandale, die trotz aller Vertuschungsversuche ans Licht gekommen sind, will Papst Franziskus aufarbeiten. Dazu zählen sexuelle Verfehlungen seitens der Priesterschaft ebenso wie finanzielle Missetaten.
Obwohl niemand die Offenheit von Franziskus in Frage stellt, bleibt abzuwarten, ob sich die mächtige Hierarchie des Vatikans wirklich in die Knie zwingen lässt. Die zum Teil mafiahaften Strukturen innerhalb der Kurie werden sich nicht ohne Gegenwehr auflösen. Es gibt zu viele, die sich im Status quo bestens eingerichtet haben.
In China stellen die Machtstrukturen innerhalb der KP die Führung des Landes vor ganz ähnliche Herausforderungen. Auch die KP ist nicht frei von sexuellen Verfehlungen und entsprechenden Sexskandalen. Und für die dunklen finanziellen Machenschaften vieler Parteigenossen ist das wirtschaftlich aufstrebende China der ideale Nährboden.
Vor diesem Hintergrund wenden sich immer mehr Gläubige von den Dogmen ihrer jeweiligen „Religionen“ ab. Sie identifizieren sich nicht mehr mit ihnen – oder haben die Hoffnung auf eine ernsthafte Trendwende aufgegeben.
In China haben die von der New York Times enthüllten Milliardenvermögen der politischen Machtelite und ihrer Familienclans das Vertrauen der breiten Bevölkerung nachhaltig untergraben. Die KP-Führung hätte dem entgegenwirken können, wenn sie – wie zeitweise geplant — alle Mitglieder des Politbüros wirklich zur schonungslosen Offenlegung ihre Vermögen verpflichtet hätte. Denn viele Chinesen sind frustriert, dass Politiker nicht nur auf allen Regierungsebenen öffentliche Gelder in die eigene Tasche wirtschaften, sondern obendrein in ausländischen Steueroasen transferieren.
Dieser selbstzerstörerische Mechanismus wird sich nur sehr schwer zurückdrehen lassen. Dennoch braucht Präsident Xi Jinping eine symbolträchtige Maßnahme, um die Selbstdisziplinierung voranzutreiben. Um der Partei eine glaubwürdige Zukunft zu geben, muss er seine Autorität stärken.
Allerdings birgt mehr Offenheit auch das Risiko, den Zorn der Insider auf sich zu ziehen. Im schlimmsten Fall würde die Büchse der Pandora geöffnet. Will die KP ihre Legitimation bewahren, hat sie – ganz ähnlich wie der Vatikan in seien Gefilden — keine andere Wahl: Sie muss nicht nur in Peking, sondern bis auf die Provinz- und Kommunalebene aufräumen, solange das Korruptionsproblem noch gerade eben beherrschbar ist.
Der Papst weist den Weg. Über die Skandalbekämpfung hinaus hat er zu weiteren innovativen Maßnahmen gegriffen. So fordert er eine stärkere Rolle von Frauen in der Kirche und beauftragte die Bischofskonferenzen in aller Welt, ihre Gläubigen über deren Einschätzung von Kernfragen der katholischen Lehre zu befragen. Das ist ein für die katholische Kirche erstaunlicher Schritt hin zu mehr „Kundenorientierung.“
Die chinesische Führung bewegt sich in die gleiche Richtung, wenn auch auf ihre ureigene Art. Die Partei hat ein neues Gesetz über die „Verbreitung von Gerüchten im Internet“ erlassen, das der Partei vor allem hilft, die Mikrobloggerszene zu überwachen. Neben aller Gängelung dient es auch einem politisch konstruktiven Zweck. Denn so erhält die politische Führung direktes Feedback aus der Bevölkerung zum Verhalten und der Performance ihrer Parteikader im ganzen Land.
Die Welt darf gespannt sein, ob und welche der Strategien von Präsident Xi Jinping und Papst Franziskus auf Dauer zum Erfolg führen werden.